Wie kann das bitte schwierig sein?! Es sieht doch wie Fliegen aus!

Ganz genau das ist die hohe Kunst beim Aerial-Sport. Der Zuschauer soll nicht einmal erahnen können, wie viel Kraft, Beweglichkeit, Körperspannung und Kraftausdauer in jeder Faser des Körpers benötigt wird, während wir wie eine Feder durch die Luft schweben.

Was tatsächlich alles hinter Luftakrobatik-Sportarten wie Poledance oder Aerial Hoop steckt und an wievielen „Skills“ und Fähigkeiten eine Aerialistin alles arbeiten muss – darauf möchte ich in diesem Blogbeitrag eingehen.

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INTRO: Aller Anfang ist schwer

Die turnt da ein bisschen an der Stange rum oder dreht sich munter im Hoop. Sieht ja ganz nett aus, aber das kann doch bestimmt jeder. So einfach? Von wegen.

Poledance ist ein Sport, der nach oben hin einfach keine Grenzen hat. Selbst wenn man sich bereits ein gewisses Level erarbeitet hat, kann man kilometerweit zu den wirklichen Poleprofis dieser Welt aufschauen.

Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung berichten, dass ich vor meiner allerersten Pole-Stunde bereits einige Jahre im Fitnessstudio trainiert hatte und z.B. 5-6 Klimmzüge für mich ein normales Pensum waren, das ich an Oberkörperkraft immer abrufen konnte. Als ich das erste Mal an der Stange hing, habe ich aber innerhalb von Minuten verstanden, dass zum Polesport weitaus mehr gehört. Man benötigt nicht nur Kraft in der Muskulatur sondern vor allem auch Griffkraft, Core-Stabilität, Stützkraft und ein gutes Zusammenspiel der Muskeln untereinander. Und an dieser Stelle will ich noch gar nicht von all den anderen Fertigkeiten wie Flexibilität oder Koordination sprechen.

Bis heute frage ich mich, wie sich wohl Mädels fühlen, die auf direktem Weg und ohne sportliche Vorerfahrung von der Couch an die Pole kommen. Oftmals beobachte ich z.B. im freien Training, wie schwer gerade der Anfang ist.

Wie soll man die Stange überhaupt hochkommen? Warum gehen die Hände ständig auf? Wie soll man sich darauf konzentrieren diese blöden Füße zu „pointen“, während man sich alle Schritte merken muss? Und wie soll man dabei dann auch noch den Bauch anspannen und die Schulterblätter kontinuierlich runterziehen? Und wie soll das alles verdammt noch mal „locker“ und „leicht“ wirken?

Dies sind nur einige der Fragen, die im Kopf einer angehenden Polerina die ganze Zeit Kreise drehen.

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Welche Fertigkeiten eine Luftakrobatin braucht

Ich möchte im Folgenden nur einige der Fertigkeiten vorstellen, die eine Luftakrobatin bracht.

Ich betrachte das ganze natürlich sehr durch meine „Poledance“-Brille. Für Aerial-Hoop und sicherlich auch Silks und Hammock treffen viele dieser Punkte natürlich genauso zu. Und bestimmt habe ich bei all dem, was wir beachten und lernen müssen, die eine oder andere Fähigkeit ganz vergessen.

Kommen wir aber einmal zu den wichtigsten Dingen:

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1. Poledance benötigt Kraft.

Und das überall. Natürlich aber besonders in den Ober- und Unterarmen, in den Schultern und Schulterblättern sowie im Bauch. Wir brauchen aber auch Kraft im restlichen Teil des Körpers. Auch wenn die Beine auf den ersten Blick nicht viel tun, braucht man beim Pole Körperspannung und aktive Flexibilität in jedem Muskel.

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2. Poledance benötigt Flexibilität.

Natürlich gehört zum Polesport auch ein großer Bewegungsumfang und ein hohes Ausmaß an Flexibilität und Mobilität. Dafür verbringen wir neben dem Poletraining auch viele Stunden auf der Yogamatte und dehnen und strechen uns. Dies hilft uns weicher zu werden und die Figuren in der Luft schöner aussehen zu lassen.

Aber auch beim Dehnen können wir uns nicht nur „entspannen“ sondern müssen auch viele kräftigende Übungen machen. Es ist nämlich eine Sache, passiv auf den Boden in den Spagat zu rutschen. Diesen aktiv in der Luft „aufziehen“ zu können, ohne den Boden zu haben, der uns dabei hilft, erfordert sehr viel Kraft und sogenannte „aktive Flexibilität“.

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3. Poledance benötigt Griffkraft.

Die Arme bzw. die Hände müssen nicht selten das gesamte Körpergewicht einer Polerina an der Stange halten können. Hier gibt es zwar je nach Beginner-, Intermediate- und Advanced-Level unterschiedliche Grifftechniken, die mehr oder weniger Kraft erfordern, eine Herausforderung bleibt es aber dennoch.

Ab und an hängt das Gewicht des ganzen Körpers an einem Arm. Ich empfinde dies aufgrund der Griffposition auch wesentlich anspruchsvoller, als z.B. einarmig an einer Klimmzugstange zu hängen.

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4. Poledance benötigt maximale Körperspannung.

Ganz egal, ob die Gliedmaßen gerade etwas vollkommen anderes tun, die Körperkontrolle im Oberkörper und in den Schultern muss in Fleisch und Blut übergehen.

Ebenso die gepointeten Füße und die durchgestreckten Knie.

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5. Poledance benötigt Kraftausdauer.

Einen akrobatischen Trick zu machen ist eine Sache. Ein ganz neues Level erreicht man aber mit längeren Kombinationen, z.B. beim Spinning.

Bei meinen ersten längeren Spinning-Kombis von 2-3 Minuten, bin ich manchmal schnaufend von der Pole runter gekommen, als ob ich gerade einen 10 Kilometer Lauf hinter mir hätte. Man unterschätzt wirklich komplett, wie stark beim Pole auch die Ausdauer gefordert wird, wenn die Körperspannung über einen längeren Zeitraum aufrecht gehalten werden muss. Deswegen gibt es auch sogenannte „Conditioning“-Classes, die genau diese Fertigkeiten ausbilden.

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6. Poledance benötigt Koordination.

Um beim Pole eine Bewegung zu machen oder von einem Trick in den nächsten zu gehen, machen oftmals beide Arme und beide Beine etwas vollkommen unterschiedliches.

Während das Gehirn all diese Dinge gleichzeitig koordinieren muss (z.B. Hand 1: Stange greifen, Hand 2: hinter den Körper greifen, Bein 1: einhaken, Bein 2: strecken) muss man natürlich die ganze Zeit die Körperspannung halten, die Füße pointen und darf bloß nicht, in der Schulter „einsinken“.

Koordinative Herausforderungen wie diese sind das täglich Brot eines Aerialisten. Nicht zu vergessen, dass sich der ganze Raum dabei noch dreht wie in einem Karussel.

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7. Poledance bedeutet mit der Rotation der Stange arbeiten zu lernen.

Beim Poledance müssen wir aber nicht nur unsere Gliedmaßen koordinieren lernen, sondern beim Spinning z.B. auch das Verhalten der Stange zu unseren Gunsten kontrollieren.

So wollen wir durch unsere Bewegungen die Stange in dem Maße beeinflussen, wie wir es gerade brauchen. Dies wird besonders bei Kombinationen wichtig. Wenn wir unseren Schwerpunkt zur Stange hin verlagern und uns „klein machen“ wird sie ganz schnell, strecken wir unsere Beine hingegen aus und „machen uns lang“, wird sie langsamer und bleibt irgendwann stehen. Wir müssen also auch für diesen und andere Anwendungsfälle ein bisschen was von Hebelgesetzen verstehen 😉

Auch diese Fähigkeit ist anfangs oder bei neuen Kombinationen immer wieder eine Herausforderung: Entweder bleibt „das blöde Ding“ einfach stehen oder es dreht sich so schnell, dass wir fast abfliegen und uns erstmal hinsetzen müssen, um dem Schwindelgefühl wieder Herr zu werden.

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8. Poledance benötigt ein gewisses Maß an Schmerzakzeptanz.

Besonders wenn wir neue Tricks lernen, ist das gute Stück Eisen, an das wir unseren Körper drücken, nicht zu unterschätzen. Dies führt natürlich auch zu blauen Flecken und ab und an mal zu einem Bluterguss, besonders dann wenn die Tricks und Elemente noch neu sind und die Technik bzw. der Presspoint noch nicht perfekt sitzt.

Ähnlich verhält es sich auch beim Aerial-Hoop, da es sich dabei um einen Stahlreifen handelt. Ich habe mich das erste Mal, als ich einen Hoop angehoben habe wirklich erschrocken, wie schwer er ist. Da ein Hoop dünner ist als eine Pole und damit eine geringere Auflagefläche hat, finde ich ihn zum Teil sogar noch schmerzhafter. Es gab sogar einige Trainings, von denen ich leichte Verbrennungen an der Haut hatte, da man bei manchen Trick-Kombinationen auch mal schneller über den Hoop rollt.

Beide Dinge gehören aber eben zu diesem Sport dazu und vergehen mit verbesserter Technik.

(Zumindest bis zum nächsten neuen Trick 😉 )

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9. Poledance benötigt Halt und Stangenhaftung.

Dies ist eine Problematik, die eine ganze Wissenschaft für sich ist. Es gibt Mädels, die ständig rutschen und es gibt Mädels, die kleben und gar nicht vom Fleck kommen. Und natürlich ist alles auch tagesform- und temperaturabhängig. Um uns Abhilfe zu verschaffen gibt es bestimmte Gripmittel, die man sich wie das gute alte „Magnesium“ aus dem Fitnessstudio vorstellen kann.

Außerdem müssen wir für das Thema „Grip an der Stange“ auch ein paar Dinge, wie z.B. nicht direkt vor dem Training zu duschen oder sich einzucremen, beachten. Das ist kein Scherz!

Wenn die Beine rutschig sind, liegt man schneller am Boden als man bis drei zählen kann. 😉

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10. Poledance bedeutet Haut zu zeigen.

Auch die Kleidungswahl spielt eine Rolle. Der Großteil der Poledance-Figuren wird durch Hauthaftung möglich. Wenn hier wichtige „Presspoints“ (Druckpunkte, die Kontakt mit der Stange haben) fehlen, weil sie von Kleidung bedeckt werden, ist es uns nicht möglich den Trick zu machen. Deswegen ist es tatsächlich so: Poledance bedeutet Haut zeigen.

Dies ist gerade am Anfang für viele Polerinas eine große (auch mentale) Herausforderung, weil die „kurzen“ Höschen von Unwissenden hauptsächlich mit dem veralteten und überholten Klischee der Sportart in Verbindung gebracht werden. Der funktionale (und wichtigste!) Aspekt wird dabei aber komplett ausgeklammert: Ohne Haut halten wir an der Stange nicht.

Diesem Thema werde ich aber bei Zeiten einen gesonderten Blogeintrag widmen 😉

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11. Poledance bedeutet Höhenangst zu überwinden.

Poledance-Stangen sind im Schnitt 3 bis 4 Meter hoch. Wenn eine Kombination uns einmal in luftige Höhen verschlägt bedeutet es natürlich auch: die Angst vor dem Fallen zu überwinden.

Dies ist ein Prozess, der sich nach und nach entwickelt und für den auch jeder unterschiedlich viel Zeit benötigt. Ich habe selber z.B. auch Höhenangst. Aber wenn ich Tricks wirklich sicher in Bodennähe beherrsche und sie mir in Fleisch und Blut übergegangen sind, traue ich sie mich auch weiter oben in der Luft. Bei allen anderen bleibe ich lieber erstmal in Bodennähe, hole mir eine Matte oder bewundere andere Polerinas „beim Fliegen“, bis ich irgendwann dann auch soweit bin. Safety first!

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12. Poledance bedeutet Schwindelgefühle zu überwinden.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Drehung der Stange beim Spinning. Ich bin da Gott sei Dank mit einem nicht-empfindlichen Magen gesegnet, sodass ich Spinning schon immer genießen konnte, aber es gibt auch viele Mädels, denen regelmäßig schlecht vom Drehen wird. Manche kaufen sich Armbänder, die man auch gegen Seekrankheit tragen kann, andere versuchen es einfach etwas langsamer. Dennoch fordert diese Komponente auch einiges von unserem Körper, insbesondere dem Magen 😉

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13. Poledance bedeutet Vielseitigkeit hinsichtlich der Trainingsgestaltung.

Poledance ist durch all diese Dinge, an denen wir kontinuirlich arbeiten müssen, um besser zu werden, ein sehr intensiver und auch trainingsaufwändiger Sport, der auch viel Fleiß beinhaltet. Es bedeutet gleichzeitig an aktiver Flexibilität, Kraft und Ästhetik zu arbeiten.

In den Trainingsstunden nehmen wir viel Input mit, festigen müssen wir es aber alleine in Eigenregie. Und dazu gehört eben nicht nur die Stundeninhalte zu wiederholen, sondern auch viel Streichung, Kraft- und Technik-Training. Do your homework!

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14. Poledance benötigt vor allem ZEIT.

Jeder hat andere Grundvoraussetzungen. Manche Mädels kommen mit super viel Kraft ins Training, andere sind eher flexibel – aber die wenigsten haben von Beginn an alles. Jeder hat seine Baustellen, an denen er immer weiter arbeiten darf. Ich bin eher ein Krafttyp, dafür ist Flexi für mich sehr harte und fleißige Arbeit.

Bis eine Kombination wirklich kontrolliert so klappt, wie man es sich wünscht sind oftmals mehrere Stunden Training notwendig. Und dann hat man es erst auf einer Seite perfektioniert.

Dann geht das Spiel auf der zweiten von vorne los, denn:

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15. Poledance bedeutet immer zwei Seiten gleichmäßig zu trainieren.

Auf diesen Punkt zu achten ist vor allem sehr wichtig um muskulären Dysbalancen vorzubeugen (siehe hier), da nicht wie z.B. beim Bankdrücken automatisch die Muskeln beider Arme gleichermaßen beansprucht werden. Aus diesem Grund muss man auch genug Zeit für ein „doppeltes Training“ einplanen.

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Wenn es dann wirklich leicht und fließend aussieht, stimmen all diese Komponenten.

Und das zu erreichen ist für mich die größte Herausforderung am Aerialsport, weil man in so vielen Dingen gleichzeitig wächst.

Und wenn dann alles passt – fühlt es sich einfach wie Fliegen an, und das ist wunderschön. ♥️

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Foto-Credits Beitragsbild: Moving Arts Images (www.movingartimages.de)